Staatsoper Stuttgart – „Walküre“

Die Walküre in Stuttgart – eine Offenbarung?
Zumindest für den ersten Akt des Regie – Triptychons des ersten Teils der Tetralogie trifft dies uneingeschränkt zu.
Bereits das Vorspiel des Weltenbrandes, angefacht durch die treibenden Streichereinsätze von dem gefeierten Cornelius Meister lassen die Dimension der tiefschürfenden Inszenierung einer aus den Fugen geratenen Welt erahnen.
„Walküre bist du gewesen!“ verkündet Wotan im 2. Akte den Rausschmiss seiner Lieblingstochter Brünnhilde aus dem Hort der Götterfreuden Walhal.
Mit beklemmenden Videoprojektionen zum D-Moll des Walkürengalopps eröffnet das niederländische Regieteam den gespannten Wagnergängern, dass das irdische Daseinsgewusel alles andere ist, als eine Ode an die Freude, die in der gleichen Grundtonart aus Beethovens Neunten zu uns spricht.
Aus zwei entmenschlichten Rattenköpfen „Wehwalt“ und seiner Zwillingsschwester Sieglinde, denen der gleiche wölfische Glanz die Augen unter der Maske erhellt, verfolgt das Film in Film Kamerateam dann entfesselte Ratten-Kohorten über die leergeräumten Bühne, die so wohl sinnbildlich vor sich selbst und dieser Welt flüchten und deren Hatz am Rande der Bühne nur Miniaturen aus zerstörter Weltsubstanz Fassung geben.
Wie entsetzlich aktuell scheinen die Projektionen aus dem Miniaturenland von in der Mitte durchtrennten Häusergerippen – Direkttwitter aus Mariupol – und mit Ölfarben hin geschmotzte Rattengedärme, die par Videozoom aus der Weltenesche in unser Bewusstsein transponiert werden, uns ganz gefangen nehmen und vom eigentlichen Drama der verbotenen Geschwisterliebe ablenken.
Tiefenpsychologisch grausamer und eindringlicher hätten das Team „Hotel Modern“ mit den immer gültigen, zum Zeitpunkt der Erstellung noch “antizipierten“ Zitaten aus dem aktuellen Bruderkrieg nicht einnehmen, ja schocken können.
Viola hat vollkommen richtig in der Pause zum 2. Akt bemerkt, dass durch das Rampengesinge additiv zum Video, die Wälsungenbrut zur Nebensache degradiert würde. Mehr noch, mit dem Verstärker der Schreckensbilder aus der Ukraine, die dem kollektiven Unrechtsbewusstsein eingebrannt sind, üben die Videos labende Linderung auf das stark erschütterte Gemüt durch ihre rennenden, bisweilen schmusenden Rattenpüppchen aus!
Mit spürbarer Sensitivität, mit einfachsten Erbarmungsgesten, wie die aus Stuhl und Hand Wasser schöpfenden Geschwister durchbrechen Hotel Modern die am Bühnenrand festgewurzelten Hauptfiguren und verwandeln deren Kopfkino in ein mitfühlendes mitleidendes Ecce Homo. Die Rattenköpfe, definitiv kein Zitat aus Lohengrin aus der Neuenfelschen HCL-Distillerie!
Großes Kino dann die Schwertszene!
Aus höchster Not schwebt vom Himmel die Monsterklinge und bohrt sich nicht nur mit der Spitze in die (Welten-)Scheide der Weltesche, sondern offenbart wie in einer Gemme am Schaft des Stoffes ein Ratten-Baptisterium, dass die Menschheit endgültig in „Bella gerantes“ und Liebende aufteilt und sie hiernach tauft. Geradezu sinnbildlich für den Dreiakter, die Momente höchster Dramatik werden mit köstlichen Albernheiten gebrochen und erfährt hierdurch Mässigung, wohltuende Relativierung, um für neue Dimensionen des Götterzwists bereit und offen zu werden.
Jenseits von Gut und Böse auch das Walküren“ hojotho“ zu Beginn des 2. und 3. Aktes, gilfend, ins Krächzende hinüber geschnappt, mehr als fröhlich karikiert. Ein Highlight der überzeugenden Okka von der Damerau, die allen drei Altarbildern mit durchdringendem Soprano ihren Stempel aufdrückte.
En bref, das Abstrakte, das Kampfgeschrei, die einzige Siegeszuversicht inmitten all der Dämmerung und atonalen Ahnung vom Weltenende, in seiner Überzeichnung erfrischend komisch !
Überstrahlt vielleicht nur noch von der faszinierenden, abstrakten Lichtästhetik, in der Urs Schönebaum im zweiten Akt eine spannende Personenregie entwickelt, als Okka von der Damerau als Brünnhilde eine beinahe mystische Todesverkündigung in glänzendem Bronzegold zelebriert. Das Stuttgarter Modell zaubert aus dem ehemaligen Winterbayreuth einen Hauch gefallendes Retro Altbayreuth und doch Stuttgart 21 gerecht.
Der rote Faden? Die zentralen Menschheitsleiden, Geschlechterkampf und die Unfähigkeit der Humanitas ihr Glück zu fassen – sie durchziehen das Regie Tryptichon, dank der Wagner´schen Textfassung wie einen roten Faden.

  1. Akt; Die geächtete und tabuisierte Geschwisterliebe als Anlass zum Kampf unter Brüdern stellvertretend für den ersten Brudermord.
  2. Akt; Die Unterwerfung des Verständnisses für die menschlichen Schwächen unter die substituierende Ordnungsmoral der geschändeten Wacht über die Unverbrüchlichkeit der Ehe.
  3. Akt; Die herzzerreißende Verbannung der Vaterliebe zur Tochter oder die Selbstkasteiung des weiblich mutigen Alter Egos oder die Erstickung des hermaphroditischen Wahrheitsmundes in den Kreidekreis der Feuersbrunst.
    Wie soll so nur der ewige Geschlechterkampf durch Liebe überwunden werden?
    Etwa oder vielleicht durch den fröhlich frisch und poppig von Ulla von Brandenburg gestalteten Göttervater Wotan? dem die Regie weichgespült als Abraham im Pop Art Gewand aus Modgliani Farben, beinahe ein mosaisches Ende beschert?
    Derselbe Abraham, der noch im Halbschatten der weich erleuchteten Bühne am Ende des zweiten Aktes im rasenden Blutrausch Amok gegen seinen Sohn rennt und den Wälsen schlachtet wie ein Besessener, um größere Verstrickungen zu vermeiden? Ganz sicher nicht!
    Erlösung endlich, durch den Pausenvorhang!
    Auch diese Inszenierung vermittelt keine Lösung, geschweige denn eine Erlösung, erst recht nicht lösen die Regieteams ihre Versprechen einer harmonisierenden Zusammenführung des Multicoloren in eine Handlung ein.
    Drei Altarbilder, drei grundverschiedene Regiedesigns und Ansätze wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können und auch kein wirklich roter Faden.
    Das ist Stuttgart 22 in drei Akten und sechs Stunden Walküre.
    Absorbierende Rampensingerei ohne Inszenierung der Persönlichkeiten. Rollen, die gleichwohl ihre inneren Welten dem Publikum subkutan aufdrängen zu versuchen und hieran bis auf eine großartige Okka von der Damerau sowie Simone Schlicht als Sieglinde ziemlich scheitern.
    Stuttgart und sein Publikum – auffallend viele US-Amerikaner da – Übertitel in Deutsch und Englisch – gefällt sich trotzdem. Sie feiern ihren Orchestergraben sowie ihre Gäste. Panta rei! Alles fließt in der unter Renovierungsstress stehenden Staatsoper. Und so bleibt dann doch das letzte Bild in Erinnerung. Acht fröhliche und eine traurige Walküre vor dem Roy Lichtenstein Kussmund, der in Orakelwellen verschwimmt und der sanft wallend und kräftig wogend in den zweiten Teil der Tetralogie, unaufhörlich Richtung Götterdämmerung fließt. Stuttgart 23.4.22 TK