Bericht Bayreuth 2021

Klangfarben – Farbenklänge

Bayreuther Festspiele 2021

Ein persönlicher Bericht von Viola Lachenmann

Auch wenn die Premiere des fliegenden Holländers unter der Leitung von Oksana Lyniv, der ersten Dirigentin ever auf dem Grünen Hügel, im Vordergrund des Interesses der Zuhörer/-seher stand, hat mich am meisten die Walküre fasziniert, die im Rahmen eines abgespeckten Ring-konzepts „Ring 20.21“ konzertant gesungen wurde, aber durch den österreichischen Klangkünstler Hermann Nitsch mit einem wunderbaren Farbenspektakel bebildert wurde – es war ein Klang- und Farbenrausch, der unsere Herzen in Wallung brachte. Die Bebilderung war eine festgelegte Farbdramaturgie, die es dem Zuhörer möglich machte, Bezüge zwischen den nebeneinander herlaufenden Ebenen Musik und Szene zu knüpfen. Klaus Florian Vogt war ein wunderbarer Siegmund, an seiner Seite die stimm- und ausdrucksstarke Lise Davidsen, die auch die Senta im Tannhäuser singt und riesige Erfolge feiert. Wotan wurde von Tomasz Konieczny gesungen, der mich total begeistert hat – schade, dass er im nächsten Jahr nach der überraschenden Absage von Günther Groissbeck nicht den Wotan singen wird, wenn es wieder einen „richtigen“ Ring geben wird. Iréne Theorin hat mich als Brünnhilde mit ihrem starken Vibrato nicht ganz überzeugt, was aber der ganzen Aufführung keinerlei Abbruch getan hat – kurz: Es war ein wunderbares Erlebnis der besonderen Art, das es so nie wieder geben wird. Einzig das Dirigat des Finnen Pietarie Inkinen hat mich nicht überzeugt, es war mir zu „lahm“, ich hoffe, er legt noch einen Zahn zu bis zum nächsten Jahr. Wenn Sie näher interessiert sind an dieser (leider) einmaligen Aufführung und dem „Ring-Konzept“ darum herum, dann lesen Sie bitte den ausführlichen Bericht von Matthias unter www.lawchenmann.de.

Auf seiner Website können Sie auch gleich seine ausführliche und fundierte Einschätzung zur Premiere des „Fliegenden Holländers“ lesen. Mir hat die Aufführung gut gefallen, auch wenn die Inszenierung bei vielen nicht gut angekommen ist.. Für mich war die Geschichte stimmig und hat mich durchaus begeistert. Es war die erste Wagneroper seit Februar 2020 – was sollte sie mir also nicht gefallen? Schon der Geruch, wenn man das Festspielhaus betreten darf, lässt mein Herz höherschlagen. Es war nämlich gar nicht ohne weiteres möglich, ins Festspielhaus hineinzukommen – mit all den Corona Sicherheitsbestimmungen und bei der Premiere wegen der Sicherheitsbestimmungen auf Grund des Besuchs von Frau Merkel und der anderen Prominenz, auch wenn es in diesem Jahr keinen roten Teppich und keinen Staatsempfang danach gab. Die Eingänge waren genau gekennzeichnet, das Haus durfte nur unmittelbar vor der Vorstellung betreten werden. Alles war anders – die Restauration wurde nicht vom Steigenberger Restaurant gemanagt, sondern von einem Bayreuther Catering-Unternehmen namens „Eila“. Innenräume konnten nicht betreten werden, entlang des Festspielhauses waren Restaurationswagen aufgebaut, es hatte ein bisschen etwas von einer Jahrmarktsstimmung, aber durchaus angenehm – und dank der Foodtrucks auch sehr modern. Das Restaurant wurde als Bistro geführt, eine willkommene Abwechslung zur in die Jahre gekommenen und überteuerten Steigenberger-Bewirtung. Allerdings ist mir nicht klar, was die Festspiele gemacht hätten, wäre das Wetter nicht so sonnig gewesen. Es hat glücklicherweise nie geregnet, es war nicht sonderlich heiß, sodass die FFP2-Masken, die im Haus auch während der Vorstellung getragen werden mussten, nicht zu lästig waren, obwohl ich wirklich hoffe, dass wir sie im nächsten Sommer nicht mehr brauchen und die Pandemie endlich ein Ende hat.

Zu unserem Erstaunen haben wir festgestellt, dass im Zuge des Neubaus der sündhaft teuren Toilettenanlage klamm und heimlich auch das hübsche Postamt und der Briefkasten verschwunden sind – mit der Folge, dass es keinen besonderen Poststempel mehr gibt für die Festspiele und alles Schöne dem Kostendiktat unterworfen wird. Von einem Rekordergebnis einfahrenden Konzern finde ich sehr bedauerlich. Überhaupt – die Toilettenanlage war zwar wirklich in die Jahre gekommen, aber sie gehörten irgendwie dazu. Es änderte sich doch sehr viel. Ob mir das gefällt? Nein – ehrlich gesagt nicht. Es war alles sehr reglementiert, ins Haus darf nur, wer sich am Morgen registriert hatte (3G erforderlich!), jeden Tag bekommen wir ein neues Bändchen an den Arm – naja, das wird sich hoffentlich im nächsten Jahr wieder erledigt haben. Ich sehnte mich nach den „alten Zeiten“ zurück, wo man noch überall herumgehen konnte ohne Beschränkungen.

Am 26. Juli durfte ich zum letzten Mal – seufz – die herrliche Meistersinger-Produktion sehen und hören. Leider konnte der wunderbare Johannes-Martin Kränzle krankheitshalber nicht singen, er spielte aber den Part. Vom Bühnenrand sang an seiner Stelle Bo Skovhus, der auch sehr gut gesungen hat. Aber dennoch schade, Kränzle war ein einmaliger Beckmesser, hoffentlich wird er bald wieder gesund. Klaus Florian Vogt wurde als Walther von Stolzing sehr gefeiert, aber den meisten donnernden Applaus erhielt – sehr berechtigt – Michael Volle als Sachs, er war herausragend, das Bravo Rufen und das Getrampel wollte kein Ende nehmen. Ich bin ganz traurig, dass ich diese wunderbare Produktion nie mehr sehen und hören kann, aber ich darf mich nicht beklagen, ich habe sie in jedem Jahr mehrmals sehen können – und habe sie natürlich auf DVD.

Ich konnte berufsbedingt in diesem Jahr leider nur 1 Woche in Bayreuth verbringen, deshalb konnte ich unsere beiden Stipendiaten Valérie Leoff und Christian Stolz leider nicht begleiten, ich habe von beiden schon gehört, dass sie wunderbare Tage hatten. Sie werden natürlich noch an unserer Adventsmatinee darüber berichten. Auf unserer Website habe ich die Eindrücke von Christian Stolz bereits veröffentlicht.

Eine Woche in Bayreuth vergeht wie im Fluge – an einem Tag, an dem wir keine Karte hatten, machten wir einen Ausflug nach Selb und konnte das sehr interessante Museum „Porzellanikon“ besuchen. Ich kann nur empfehlen, dieses bedeutende Industriemuseum einmal anzusehen – und sich beim Fabrikverkauf der Fa. Rosenthal mit günstigerem Porzellan einzudecken.

Natürlich besuchten wir auch unsere Lieblingsbiergärten und waren in der wunderbaren Fränkischen Schweiz etwas wandern. Auch der Besuch des Kreuzsteinbads durfte nicht fehlen, in diesem Jahr war auch das Wellenbad wieder in Betrieb. Fazit? Es war eine erfüllte und glückliche Woche bei den Festspielen, wir freuen uns bereits auf 2022, hoffentlich endlich wieder ohne Corona.


Stipendiaten 2021

Bayreuth-Eindrücke von Christian Stolz, Stipendiat 2021

Von einem der Stipendiaten aus Frankreich habe ich während des Aufenthalts ein neues französisches Wort gelernt: „Énorme“, was wohl so etwas wie „Riesig!“ / „Unglaublich!“ bedeutet. Und genau an dieses Wort, „Énorme“, musste ich bei all meinen Wow- und Aha-Momenten in Bayreuth immer wieder denken: Denn es war ein intensives, unglaubliches Erlebnis!

Wir konnten drei Aufführungen besuchen: „Tannhäuser“, „Der Fliegende Holländer“ und „Die Meistersinger von Nürnberg“. Dass es möglich war, so viele Vorstellungen sehen zu können, empfinde ich in dieser Corona-beeinflussten Zeit als großes Glück. Die drei Opern-Aufführungen werde ich nie vergessen. Schon das Warten vor dem Festspielhaus war jedes Mal spannend und wie ein Kosmos für sich: Die Vorfreude der Zuschauerinnen und Zuschauer zu spüren, die angeregten Gespräche über das was kommt mitzuerleben, die Feierlichkeit … Die Aufführungen haben mich alle drei mitgerissen. Das Orchester, der Gesang, die Inszenierungen: Weltklasse. Ich war sehr glücklich, dabei zu sein, wenn so exzellente Künstlerinnen und Künstlern auftreten. Von ihrer Raffinesse, ihrem Niveau, der prickelnden Stimmung ihrer Perfektion nehme ich viele Eindrücke mit.

Bei den drei Produktionen sind mir – neben dem immer überragenden Gesamterlebnis von Musik und Szene – jeweils verschiedene Punkte ganz besonders in Erinnerung geblieben. Beim „Tannhäuser“ ist es die sehr aufwendige, moderne und mutige Inszenierung von Tobias Kratzer. So viele verschiedene ästhetische Stilarten innerhalb einer Inszenierung miteinander zu vermischen, und dass sie sich so fantastisch verbinden, hat mich sehr verblüfft und begeistert. Jeder Akt war ja wie ein Stück für sich, und doch ein Teil des Ganzen. Die Idee, den Inhalt der Oper mit einer starken Video-Ebene und mit Anspielungen und Figuren aus verschiedenen Zeiten (Oskar aus der „Blechtrommel“, der Dragqueen Le Gateau Chocolat etc.) zu kommentieren, fand ich toll. Dadurch, dass die Festspiele selbst als „Theater im Theater“ immer wieder in der Inszenierung thematisiert wurden, man live hinter die Kulissen sah, und das auf so raffinierte Weise, hatte ich das Gefühl, das ganze Festspielhaus spielt bei dieser Aufführung mit. Traumwelten, historische Welten, Albtraumwelten haben sich verbunden: Was für ein praller Ritt durch das Lieben und Leiden in dieser Oper!

Beim „Fliegenden Holländer“ bleibt mir besonders das Dirigat von Oksana Lyniv als einer von vielen Punkten in Erinnerung. Wie mutig, wie brisant und fein sie das Orchester durch die Wellen und Wogen der Partitur geführt hat, welchen Puls das der Inszenierung und den Sängerinnen und Sängern gegeben hat, hat mich beeindruckt. Wie oft während dieser Stipendiaten-Tage war ich an diesem Abend ganz erfüllt von der fantastischen Akustik im Festspielhaus, all den Feinheiten der Töne, die man mitbekommt. Das waren Musik-Erlebnisse, wie man sie wohl nur ganz selten im Leben hört. Ich bin sehr froh, dass ich erfahren konnte, was eine Aufführung in diesem so besonderen Festspielhaus bedeutet.

Auch die „Meistersinger von Nürnberg“ waren ein großes Fest. Hier muss ich als erstes an die durchgängig spannenden und besonderen Stimmen des Ensembles denken, und an die Gesamtatmosphäre der Inszenierung von Barrie Kosky, die die Themen der Oper so verblüffend und lustvoll und zugleich so erschütternd kommentiert. Die Juden-Karikatur, die sich am Ende des ersten Akts aufbläst, hat die Stimmung bei mir tief nachdenklich werden lassen. Es ergeben sich ja so viele Fragen aus der Gegenwart. Gleichzeitig bewegt sich der Abend immer wieder in Komik, und wandelt so an der Grenze von heiteren und sehr betroffen machenden Momenten. Ein Erlebnis mit ganz vielen Details, bei dem es auf der Bühne – vor allem im „Wimmelbild“ erster Akt – so viel zu schauen gab.

Das Rahmenprogramm, das Kennenlernen und die Gespräche mit den anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten waren darüber hinaus eine fantastische Erfahrung. Wenn ich es richtig mitbekommen habe, waren wir in diesem Jahr um die 60-70 Stipendiatinnen und Stipendiaten, aus vielen verschiedenen Ländern. Die Blickwinkel auf die drei Aufführungen waren sehr verschieden, und das hat die Diskussionen bereichernd und lebendig gemacht, ich habe viel Neues gelernt und man konnte sich mit vielen verschiedenen Persönlichkeiten über das Gesehene austauschen. Gemeinsame Besuche u.a. im Haus Wahnfried, bei der Kranzniederlegung am Grab Richard Wagners und bei einer Führung durch die Wagner-Stadt haben ein umfassendes Gefühl davon gegeben, was Richard Wagners Leben und Werk bedeutet und worin die Ursprünge seines Schaffens liegen. All das hat ein sehr lebendiges Gefühl vermittelt und war eine super Ergänzung zu den Vorstellungsbesuchen. Ein Programmpunkt, der von vielen Stipendiatinnen und Stipendiaten ebenfalls immer wieder schwärmend aufgegriffen wurde, war die Führung in der Klaviermanufaktur „Steingräber und Söhne“: Den Enthusiasmus, die Akribie und Perfektion, die uns der Inhaber vermittelt hat, war mitreißend. Ich kann leider bislang kein Klavier spielen, aber nach dieser Führung hätte ich am liebsten sofort damit begonnen.

Auch das Internationale Stipendiatenkonzert war ein schöner Abend. Er hat ein Gefühl davon vermittelt, was für Talente in der Gruppe schlummern, unter anderem mit einer virtuosen Klavier-Jazz-Improvisation, tollen klassischen Interpretationen am Klavier und großen Stimmen. Die Open Stage im Anschluss hat auch eine tolle, lockere Stimmung erzeugt, vielen haben an ihrem Können in spontanen Auftritten teilhaben lassen.

Ich möchte mich herzlich bedanken für die Möglichkeit, an den Stipendiaten-Tagen teilnehmen zu können. Es war mir eine Freude. Was während dieser Tage den Stipendiatinnen und Stipendiaten ermöglicht wurde, war viel und großartig. Sängerinnen und Sänger, Instrumentalistinnen und Instrumentalisten, Forschende, Filmemacher, Dramaturgen etc. sind für en paar Tage auf und um den Grünen Hügel zusammengekommen, und all die Eindrücke, die entstanden sind, werde ich nicht vergessen. Es war einmalig! Allein der enthusiastische Applaus nach den Aufführungen – ein donnernder Applaus, wie ich ihn noch nirgendwo gehört habe! – zeigt, wie viele Gefühle diese Festspiele auslösen. Ich freue mich darauf, auch weiterhin über die Erlebnisse im Austausch zu bleiben.
Christian Stolz